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Einheimische und Exoten am Wegesrand

Ein baumkundlicher Spaziergang durch Steinhausen

Von und mit Christiane Heiber

 

Wenn es um die Geschichte Steinhausens geht, müssten wir eigentlich sie befragen – die Bäume des Dorfes. Die Ältesten von ihnen sind seit circa 200 Jahren hier ansässig und haben damit eine weit größere Zeitspanne miterlebt als jeder Bewohner Steinhausens.

Machen wir einen kleinen Rundgang durch den alten Ortskern und richten unser Augenmerk einmal bewusst auf die Bäume am Wegesrand. Bei näherer Betrachtung werden wir eine erstaunliche Vielfalt feststellen. Und ähnlich wie bei der Bevölkerung des Ortes gibt es ein buntes Nebeneinander von Alteingesessenen, Zugezogenen aus anderen Teilen Deutschlands oder Europas und Weitgereisten, die es aus fernen Ländern hierher verschlagen hat. Sie alle konnten hier Wurzeln schlagen, sich miteinander und mit ihrer Umwelt arrangieren. Machen wir es ihnen nach!

Wir beginnen unsere Erkundungstour beim Ehrenmal am Schulpfad. Hier stoßen wir als erstes auf einige Vertreter der „Alteingesessenen“, die wahrscheinlich auch ohne menschliches Zutun hier wachsen würden. Eindrucksvolle Rotbuchen mit einem Stammumfang von 250 cm umrahmen das Ehrenmal. Ihr Alter wird auf 80 bis 120 Jahre geschätzt.

Hinter dem Tor des Ehrenmals zieht ein mächtiger Stamm mit rissiger Rinde unsere Blicke auf sich. Im unteren Teil ist er verwachsen, nach oben hin in drei Hauptstämme verzweigt. Erst in einiger Höhe werden die dazu gehörigen gefiederten Blätter einer Esche sichtbar. Eschen wachsen schnell und liefern ein schweres hartes Holz. Dieses Exemplar dürfte circa 100 Jahre alt sein.

Wir gehen den Schulpfad weiter am Ehrenmal vorbei. Mit detektivischem Scharfblick entdecken wir in der Nähe der Laterne zwischen all den Rotbuchen einen Baum mit ganz ähnlich geformten ovalen Blättern, die aber nicht glänzen und glattrandig sind wie die der Rotbuche, sondern matt und an den Rändern gesägt - eine Hainbuche. Im Neuenburger Urwald bilden Hainbuchen, neben Eichen und Rotbuchen, einen Großteil des Bestandes. Dort erkennt man sie oft an ihrer glatten grauen Rinde, die im Alter deutliche Furchen und Wülste aufweist. Hier bleibt dieses Merkmal verborgen, weil der Stamm dicht von Efeu umrankt ist. In der Mythologie gilt die Hainbuche als Schutzbaum für Haus und Hof. Heute wird sie, ebenso wie die Rotbuche, gerne als Hecke gepflanzt – für die heimische Tierwelt die bessere Alternative zum Jägerzaun. Ein Beispiel für eine dichte Hainbuchenhecke finden wir gleich im weiteren Verlauf des Schulpfades auf der linken Seite. Das Grundstück auf der rechten Seite wird überwiegend von einer Weißdornhecke begrenzt.

Viele der Bäume, die wir heute in Steinhausen antreffen, wurden in den fünziger Jahren unter Anleitung der damaligen Lehrer, Meyer und Pille, von Schülern gepflanzt. Auf alten Fotos aus jener Zeit erscheint der Ort wesentlich kahler als heute. Der 2. Weltkrieg und die Nachkriegsjahre, in denen Bau- und Heizmaterial knapp waren, hatten ihre Spuren hinterlassen. Um einer Verarmung der Landschaft entgegenzuwirken, wurden die Schulen im Oldenburger Land aufgefordert, sich an Pflanzaktionen zu beteiligen. Mehr als 300 Bäume wurden in dieser Zeit allein in Steinhausen gepflanzt. So sind auch heute die Schule und der Kindergarten nicht von nacktem Asphalt, sondern von viel Grün umgeben.

Die Birken vor der Steinhauser Schule wurden nach dem Krieg von Schulkindern gepflanzt.
Die Birken vor der Steinhauser Schule wurden nach dem Krieg von Schulkindern gepflanzt.

Am Ende des Schulpfads biegen wir nach rechts und folgen dem Verlauf der Hecke bis zur Einfahrt des Nordendorp-Hofes. Diese wird von ehrwürdigen, etwa 150 bis 200 Jahre alten Eichen flankiert, die einen Stammumfang von circa 4 Metern haben. Ihre Blätter sind an den Enden abgerundet und fast ungestielt, während die Früchte an langen Stielen sitzen. Das sind Merkmale unserer einheimischen Stieleiche. Sie gehört zu den wirtschaftlich wichtigsten Laubbäumen Mitteleuropas. Ihr hartes Holz wird als Baustoff geschätzt und hat einen hohen Brennwert. Aus der Rinde gewann man früher Stoffe zum Gerben von Leder. Ihre Früchte lieferten ein stärkereiches Futter für Schweine. Wo sie – wie im Neuenburger Urwald – gemeinsam mit Buchen vorkommt, hat sie es schwer, sich gegenüber den schneller wachsenden Baumkonkurrenten zu behaupten. Auch hier findet ein solcher Wettkampf statt. Zwischen den Eichen vor der Auffahrt bahnt sich eine fast gleich große, aber um einige Jahrzehnte jüngere Buche den Weg zum Licht.

150 bis 200 Jahre alte Eichen vor der Einfahrt zum Nordendorp-Hof.
150 bis 200 Jahre alte Eichen vor der Einfahrt zum Nordendorp-Hof.

Wir überqueren nun die Landesstraße und gehen wieder zurück Richtung „Altdeutsche Diele“. Der Gehweg wird von einer niedrigen Hainbuchenhecke begrenzt. Auf Höhe des Schulpfads laufen wir auf einen Baum zu mit leichtem, herabhängendem Geäst. An der schwarz-weißen Rinde erkennen wir zu jeder Jahreszeit die Birke. In diesem Fall haben wir es mit einer Hängebirke zu tun, die eine andere Wuchsform hat als die Moorbirken, die man zum Beispiel vor der Schule findet. Birken sind besonders lichthungrige Bäume, die oft als Erste auf waldfreien Flächen Fuß fassen, aber kaum älter als 100 Jahre werden.

Noch ein paar Schritte und wir sind bei der „Altdeutschen Diele“ angelangt. Den Eingang zum Biergarten schmückt ein Baum, der in keinem Dorf fehlen darf: Eine Linde heißt die Gäste willkommen und verkündet Geselligkeit. „Wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit….“, heißt es in einem alten Volkslied. Im Frühsommer können wir einfach unserer Nase nachgehen und uns vom Duft ihrer Blüten anlocken lassen. Manch einer weiß die heilende und fiebersenkende Wirkung eines Lindenblütentees zu schätzen. Jetzt aber überlassen wir die Blüten mit ihrem Nektar den Bienen und stärken uns im Biergarten bei anderen Flüssigkeiten, ehe wir unseren Weg in Richtung Seefahrtsdenkmal fortsetzen.

Wir registrieren den Kirschbaum, der in einem Vorgarten wächst, kommen an einer Fichte, einer Kiefer und zwei kleinen Ebereschen vorbei (auch unter dem Namen Vogelbeere bekannt) und erreichen schließlich den Turm, der daran erinnert, dass zu Steinhausen einmal ein kleiner Hafen gehörte. Gleich neben dem Denkmal steht eine stattliche Linde, die nach Angaben ihrer Besitzer etwa 150 bis 200 Jahre alt ist. Ein paar Schritte weiter links von der Auffahrt fällt ein Baum auf, der eindeutig kein Hiesiger ist. Auf den ersten Blick könnte man ihn wegen seiner handförmigen Blätter für einen Ahorn halten. Die schuppig abblätternde Borke und die kugeligen Früchte zeigen jedoch an, dass es sich um eine Platane handelt. Platanen, deren ursprüngliche Herkunft nicht ganz geklärt ist, werden in Mitteleuropa gerne als Park- und Alleebäume angepflanzt. Napoleon soll sehr zu ihrer Ansiedlung beigetragen haben, damit seine Soldaten im Schatten ihrer Blätterkronen marschieren konnten. Die Platanen an diesem Teil der Landesstraße sind jedoch keine Hinterlassenschaften des französischen Feldherren. Sie wurden vor circa 70 Jahren vom damaligen Besitzer des Gehöfts gepflanzt.

Zwei Bäume mit ähnlichen Blättern an der Landesstraße: links ein Spitzahorn, rechts eine Platane.
Zwei Bäume mit ähnlichen Blättern an der Landesstraße: links ein Spitzahorn, rechts eine Platane.

Aus dieser Zeit stammt auch die folgende Baumreihe: Vor dem Stall besteht sie aus einer Linde, einem Spitzahorn und einer amerikanischen Roteiche mit spitz zulaufenden Blättern, entlang der anschließenden Weide aus einer Hainbuche (hier ist auch der wulstige Stamm sichtbar), Platanen, Linden, Roteichen und Spitzahorn. Ihre Äste wachsen zum Teil weit über die Straße und bilden ein belaubtes Dach. Wo Ahorn und Platane direkt nebeneinander stehen, kann man sie gut vergleichen. Mancher erinnert sich vielleicht, wie er sich als Kind die geflügelten Früchte des Ahorns auf die Nase gesetzt hat. Probieren wir es mit den Früchten des Spitzahorns, haben wir Schwierigkeiten, weil sie eher die Form eines leicht gebogenen Kleiderbügels haben. Die besseren „Nasenzwicker“ liefert der Bergahorn, den wir auf dem folgenden Abschnitt finden können (siehe unten).

 

Vor dem Hankenhof an der nächsten Straßenbiegung überqueren wir die Landesstraße erneut und biegen in die Hohle Straße ein. Eine Blutbuche auf dem kleinen Rondell an der Abzweigung weist uns den Weg. Im vorderen Teil der Straße entdecken wir vor dem ersten reetgedeckten Haus auf der rechten Seite einen prächtigen, frei stehenden Walnussbaum, eine Besonderheit, die eher selten in unseren Gärten kultiviert wird. Wenn er gerade keine Früchte trägt, ist er an seiner grauen, rissigen Borke zu erkennen und an den gefiederten glatten Blättern, die vom Blattstil zur Spitze hin deutlich größer werden. Ein Stück weiter, vor dem Haus Nr.7, breitet eine Rosskastanie ihre Äste aus. Kinder, die im Herbst Kastanien zum Basteln suchen, können hier fündig werden. 

Ein Walnussbaum vor dem ehemaligen Bauernhaus Hohle Straße 7
Ein Walnussbaum vor dem ehemaligen Bauernhaus Hohle Straße 7

Hinter der nächsten Biegung, auf Höhe der Hohle Straße 8, reckt ein Bergahorn seine Äste über die Straße. Wir machen den Test mit den Nasenzwickern. Passt!

Nach etwa 100 Metern kommen wir an einer eingezäunten Wiese vorbei, auf der eine einzelne Eiche steht. Sie dürfte kaum älter als 40 bis 50 Jahre sein, konnte sich aber, da frei stehend, üppig zu allen Seiten entfalten. Ein kleines Schmuckschmück am Ende der Wiese: der von Rosen umwachsene Torbogen.

Allmählich nähern wir uns wieder der Alten Schule und dem Schulpfad. Zuvor zieht auf der linken Straßenseite beim Haus Nr. 16 noch ein echter Exot die Aufmerksamkeit auf sich. Dicht neben einer Hauswand sucht eine Araukarie Schutz vor Kälte und Wind, ein immergrüner Nadelbaum, der eigentlich auf der Südhalbkugel beheimatet ist. Offensichtlich hat er die friesischen Winter bis jetzt überlebt.

Wir beenden unseren Rundgang am Eingang des Schulpfades – nicht ohne den neben dem Schulparkplatz (vor dem Haus Nr. 1) wachsenden Tulpenbaum zu bestaunen, der seinen Namen aufgrund der an Tulpen erinnernden Blüten trägt. Seine Heimat ist Nordamerika, wo er unter dem Namen „Yellow Poplar“ bekannt ist. Die merkwürdig gestutzten Blätter verfärben sich im Herbst in ein leuchtendes Goldgelb. 

Die Blätter des aus Nordamerika stammenden Tulpenbaumes wirken wie abgeschnitten.
Die Blätter des aus Nordamerika stammenden Tulpenbaumes wirken wie abgeschnitten.
Auch eine japanische Kirsche wächst am Eingang  des Schulpfads – hier in voller Blütenpracht
Auch eine japanische Kirsche wächst am Eingang des Schulpfads – hier in voller Blütenpracht

Die Liste der in Steinhausen vorkommenden Bäume ist damit noch keineswegs vollständig. Wer jetzt Lust auf mehr bekommen hat, der besorge sich ein Bestimmungsbuch und erkunde weitere Straßen, aber auch die angrenzende Feldmark mit ihren typischen Wallhecken auf eigene Faust. Pappeln, Erlen, Weiden, Hasel, Holunder, Apfel-, Pflaumenbäume und andere Arten warten noch darauf, entdeckt zu werden. Sie alle tragen zu dem schönen dörflichen Charakter des Ortes bei und bieten darüber hinaus vielen Tieren Nahrung und Unterschlupf. Amsel, Drossel, Fink und Star, Eule und Specht, Biene und Eichhörnchen finden hier noch geeignete Lebensbedingungen. Wir sollten dafür sorgen, dass dies so bleibt und nicht immer mehr Bäume und Sträucher Asphalt oder – wie an den Ortsrändern - großen, einförmigen Maisfeldern weichen müssen.

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Ein herzlicher Dank an Herrn Forstdirektor a. D. Berndt-H. Kriebitzsch für die fachliche Unterstützung.

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Kommentare: 1
  • #1

    Heike Bieck-Schmidt (Dienstag, 16 Mai 2023 06:41)

    Die Blutbuche am kleinen Rondell wie oben beschrieben, hat mein Vater mitgepflanzt. Er war nach der Flucht aus Pommern für einige Jahre zum Helfen auf Hiddels, und ging zusammen mit Reinhold Haschen dort zur Schule. Immer wenn wir meine Grosstante in Steinhausen besucht haben, ging immer mindestens ein Gang zur prächtigen Blutbuche.